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Arbeit im Wandel der Zeit

Arbeit im Wandel der Zeit – Teil 1

Die Ausübung menschlicher Arbeit hat im europäischen Raum eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich, die durch technologischen Fortschritt immer wieder neu definiert wurde. Aber dass ausgerechnet eine Pandemie unseren Blickwinkel auf Arbeit wesentlich verändert, hätte wohl vor ein paar Jahren auch niemand gedacht.

Veränderung im Erwerbsleben

Wer heute im Erwerbsleben steht, hat das Gefühl, dass eine Veränderung die nächste jagt. Organisationsstrukturen, Arbeitsabläufe und Führungsstile, die vor Corona noch in Stein gemeißelt waren, werden heute in Frage gestellt oder bereits anders gehandhabt. Aber wir spüren, dass dieser Transformationsprozess noch lange nicht abgeschlossen ist. Zuviel ist während der letzten drei Jahre in Bewegung geraten. Wir sind Zeitzeugen einer Entwicklung, in der Arbeit – wieder einmal – neu definiert wird.
Bevor wir uns mit den vielfältigen Möglichkeiten sinn- und wertvoller Beschäftigung in naher und ferner Zukunft auseinandersetzen, lohnt es sich, zuerst einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen. Es zeigt sich, dass menschliche Arbeit im Laufe der Jahrhunderte bereits mehrmals tiefgreifenden Umbrüchen unterworfen war.

Arbeitsteilung und Handwerk

Die Geschichte der Wirtschaft und somit auch der Arbeitswelt war viele Jahrhunderte lang von der Landwirtschaft dominiert. Die sogenannte Agrargesellschaft trat in ihren ersten Ausprägungen bereits ab rund 10.000 v. Chr. auf. Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass Kooperation in Form von Arbeitsteilung und Spezialisierung das Leben der Menschen leichter machen konnte – bei gleichzeitiger Steigerung der (Ernte-) Erträge. Was damals nicht weniger als das Überleben sicherte.
Sukzessive entwickelten sich rund um die Agrarwirtschaft verschiedenste Berufsfelder, die mehrheitlich vom Handwerk geprägt waren, also Tätigkeiten, die vom Menschen von Hand ausgeführt wurden. In diese Ära fällt auch die Erfindung des Münzgeldes und die Bildung von Zünften und Gilden.

Entlastung der Arbeitenden durch die Dampfmaschine

Die erste, revolutionäre Zäsur – später auch erste industrielle Revolution genannt, wurde ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst. Das erste Mal war es möglich, Menschen durch Maschinen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Das hatte Einfluss auf die Art der Ausführung von Arbeit. Manufakturen entstanden und später Fabriken.

In Bezug auf die Arbeitszeit ging damit eine wesentliche Veränderung einher: der familiäre Verbund der Handwerksbetriebe, in dem Arbeiten und Leben eine Einheit bildeten, ging stark zurück. Die Menschen wanderten in die Städte ab und verkauften ihre Arbeitskraft. Dies führte erstmals zu einer Trennung der Lebenszeit in Arbeits- und Freizeit – so wie wir sie in abgewandelter Form heute immer noch kennen.

Gute und schlechte Seiten der Elektrifizierung

Die Elektrifizierung, die ab ca. 1870 voranschritt, gilt heute als Auslöser der zweiten industrielle Revolution. Maschinen konnten durch Elektromotoren weitaus effizienter betrieben werden als mit Dampf. Sie machten Maschinen noch ein Stück unabhängiger von menschlicher Arbeit. Andererseits wurde das Konzept der Arbeitsteilung auf die Spitze getrieben, indem Arbeit in kleinste Einheiten geteilt wurde, die schnell und ohne Aufwand erledigt werden konnten („Taylorismus“, benannt nach Frederick Winslow Taylor, 1856 – 1915). Nutznießer dieser Produktionstechnik war in erster Linie die Automobilindustrie.

Die Industrialisierung war der bestimmende Faktor in den europäischen Volkswirtschaften. Das führte zu einer signifikanten Erhöhung des Wohlstandes der einzelnen Nationen, allerdings gab es immer größer werdende gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Individuen. Erbärmliche soziale Zustände führten zur Gründung von Gewerkschaften und in weiterer Folge zur Einführung von ersten sozialen Standards.

Österreich hatte in diesem Bereich eine Vorreiterrolle inne: bereits 1859 wurde die Sonntagsruhe und der 11-Stunden-Tag eingeführt. Die tatsächliche Durchsetzung dieser gesetzlichen Regelung ließ allerdings noch sehr zu wünschen übrig. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam es zur Einführung des 8-Stunden-Tages, allerdings bei einer 6-Tage-Woche. 1959 wurde die einheitliche 45-Stunden-Woche beschlossen. Ab 1975 war die 40-Stunden-Woche und in manchen Branchen auch die 38,5-Stunden-Woche Standard in Österreichs Unternehmen.
(Quelle: https://neuezeit.at/arbeitszeitverkuerzungen-in-oesterreich/, abgerufen am 26.07.2023)

Eine unmittelbare Folge der Industrialisierung war die Entstehung des Dienstleistungssektors. Sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Produktion wurden immer weniger Menschen benötigt. Dafür stieg der Bedarf im Handel, im Finanzbereich, im Verkehr, im Gesundheitswesen und in vielen anderen Bereichen. Der körperliche Aspekt von Arbeit wurde immer geringer, der Bedarf an Wissen hingegen immer größer.

Es gab fixe Arbeitszeiten, fixe Arbeitsplätze und eingespielte Abläufe. Flexibilität war zu dieser Zeit ein untergeordneter Faktor.

Digitalisierung und Automatisierung

Die Digitalisierung, also die Einbindung von Computern in das Arbeitsleben, startete in den 1970er-Jahren ihren Siegeszug und löste damit die dritte industrielle Revolution aus.

Abläufe konnten automatisiert werden, was sich sowohl auf den sekundären (Industrie) als auch auf den tertiären Sektor (Dienstleistungen) stark auswirkte. Spätestens mit der Verbreitung des Internets unterlag auch die Wissensgesellschaft einem grundlegenden Wandel. Die Informationstechnologie hatte begonnen, unser berufliches wie privates Leben zu beeinflussen.

Gegenwart

Realistisch betrachtet, haben uns die genannten technischen Neuerungen wesentliche Erleichterungen bei der Erfüllung unserer Arbeit gebracht. Andererseits änderten sich mit dem Fortschritt aber auch die Erwartungshaltungen. Der Wunsch nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance wurde immer drängender. Diesem Trend wurde zuerst durch Modelle wie Gleitzeit und Teilzeit versucht Rechnung zu tragen.

Aber das Bedürfnis nach weiterer Flexibilisierung steigt. Interessanterweise fordert ein immer größer werdender Teil der Arbeitnehmerschaft ganz bewusst das Ineinanderfließen von Arbeits- und Freizeit – eine Entwicklung, die zumindest bis zu Beginn der Pandemie ganz sicher nicht im Sinne der Gewerkschaften war.

Den Selbständigen ist dieses Lebensmodell seit langem vertraut, allerdings ist es mehr der Notwendigkeit als dem Wunsch danach entsprungen. So hat ein Virus, dem keiner das Potential zur bahnbrechenden Veränderung der Arbeitswelt zugetraut hätte, eine Entwicklung in Gang gesetzt, die ohne sein Auftreten sicher nicht die Dynamik gehabt hätte, die wir nun seit 2020 miterleben dürfen.

Der viel zitierte Fachkräftemangel, der im Zuge der notwendigen Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeit genannt wird, kam wohl kaum überraschend. Die Arbeitgeber*innen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Jahre – eigentlich Jahrzehnte – Zeit hatten, um sich auf die kommenden Veränderungen auf der Arbeitnehmerseite einzustellen.

Bis zum Auftreten von Covid-19 hat diese Tatsache aber zu keiner nennenswerten Bewegung am Arbeitsmarkt geführt. Aber es ist ohnehin müßig, über die Gründe der aktuellen Arbeitsmarktsituation zu philosophieren. Dazu ist es schon zu spät. Wir sind in ein neues Zeitalter eingetreten und nun ist Handeln angesagt. Und zwar eines, das alle am Arbeitsprozess Beteiligten so schnell wie möglich vom Reagieren zum Agieren bringt.

Entwicklungszyklen

Denn die Entwicklungszyklen werden – die Geschichte hat es uns eindrucksvoll gezeigt – immer kürzer. Unbestritten war, ist und bleibt, dass es eine Vielzahl von Aufgaben gibt, die zeitgerecht, sorgfältig und vollständig erledigt werden müssen. Niemandem wird die Arbeit ausgehen, weder jetzt noch in Zukunft. Aber sie wird anders werden, denn wie die Aufgaben erledigt werden, unterliegt einem stetigen Wandel.

Download des BÖB Artikels: Arbeit im Wandel von Dr. Karin Graser-Döll

Fortsetzung folgt

Im Teil 2 setzen wir uns mit den Möglichkeiten auseinander, wie Arbeit in naher und ferner Zukunft gelebt werden könnte.

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